Bericht EUROTOUR- SARAJEVO 2012 von Thomas Ramseyer - swissbillard.ch
Am 5. April 2012 werden es genau 20 Jahre her sein, seit dem Beginn der Belagerung der Stadt Sarajevo während des Balkankrieges im ehemaligen Jugoslawien. Die Belagerung dauerte über tausendvierhundert Tage und wurde offiziell erst am 29. Februar 1996 nach dem Friedensschluss von Dayton beendet. Mehr als 10'000 Menschen starben, getroffen von Scharfschützen, Granaten oder zerfetzt durch Minen, darunter hunderte von Kindern. Wo vor weniger als zwei Dekaden jahrelang Kugeln fielen, fallen heute Billardkugeln. Friedlich und in ausgelassener Atmosphäre. Eigentlich ein kleines Wunder, daran darf man ab und zu auch erinnern.
|
So sah Sarajevo während Balkankrieg aus. Zerschossene Häuser und Trümmerfelder überall. Fast vier Jahre dauerte der Belagerungszustand, der über zehn Tausend Menschenleben forderte.
|
Die Wirtschaftskrise macht sich breit und breiter überall in Europa, auch wenn wir in der Schweiz nicht so viel davon mitbekommen. Die Arbeitslosenrate in Bosnien und Herzegowina liegt seit Jahren über 40%, in Spanien ist sie bei 20 und in Italien fast bei 10% angelangt. Vor zwanzig Jahren erklärte mir Dan Janes, der Hersteller der Joss Queues in Baltimore, USA: Wenn es der Wirtschaft schlecht geht, geht es Pool gut. Vielleicht war das mal so aber heute können wir dieses Phänomen nicht erkennen. Der Wirtschaft geht es schlecht und dem Billardsport geht es noch schlechter. Eine Wende ist an beiden Orten bisher nicht in Sicht.
Nur 153 Spieler standen am Start in Sarajevo. Sicher zu wenig um eine nachhaltige Durchführung der Eurotour garantieren zu können. Umso erfreulicher also, dass die Eurotour überhaupt wie geplant starten konnte. Kozoom wurde für die Aufzeichnung und Live-Stream Übertragung der Spiele engagiert. Kozoom ist bekannt für professionelle TV Übertragungen, an der Dreiband WM in Lausanne konnte man ihre Arbeit live miterleben. Ob das ganze Kozoom Konzept in sich schlüssig ist, bleibt eine andere Frage. Sollen Billardhändler wirklich Links auf die Kozoom Seite setzen, wo der Besucher dann gleich im mehrsprachigen Kozoom Webshop Billardzubehör kaufen kann? Verdrängungskampf überall.
|
Heute scheint Sarajevo zum Leben einer normalen modernen Gross-Stadt zurück gefunden zu haben. 500'000 Menschen leben im Ballungsraum, die Altstadt zeigt sich Touristen von schmucker Seite. Wirtschaftlich konnte die Region aber noch nicht an den Stand vor dem Balkankrieg anknüpfen.
|
Dimitris erfolgreicher Start und Englische Invasoren
Für Dimitri Jungo, der vor einer Woche in Luzern gegen Ronald Regli den Final gewann, startete die Tour in Sarajevo ausgezeichnet. In der zweiten Runde traf er auf die Französische Legende Stefan Cohen, den er nach hitzigem Gefecht 9:7 niederringen konnte. Danach musste der Schweizer gegen Bruno Muratore eine klare 9:3 Niederlage einstecken.
In der Folge fand Jungo aber wieder auf die Siegerstrasse zurück. Harald Stolka musste nach 9:4 den Heimweg antreten und sein Landsmann, Junior Manuel Ederer nach einem ganz knappen 9:8.
|
Chris Melling weiss sich zu helfen. Aber gegen den jungen Österreicher Albin Ouschan Junior (auch sein Vater, Albin Senior ist aktiver Poolspieler) nützten alle gezogenen Register nichts. Im Halbfinal war Endstation.
|
Deutsche relativ früh ausgeschieden.
Neunzehn Mann stark ward die Deutsche Equipe zu Turnierbegin. Nur gerade ein einziger lag in den Achtelfinals noch im Rennen, Oliver Ortmann stand gegen Darren Appleton am Tisch und musste chancenlos nach 9:2 die letzte deutsche Hoffnung begraben. Ralf Souquet, der letztes Jahr in die US Hall of Fame der Poolspieler aufgenommen und vor dem Turnier in Sarajevo von der EPBF speziell gewürdigt wurde hatte einen miserablen Start und musste sich nach zwei 9:8 Niederlagen gegen Tony Drago und Andreas Gerwen mit dem ungewohnten 49. Platz abfinden.
Britten erneut dominant - Überraschung in den Viertelsfinals
Deutlich erfolgreicher waren die Tommys. Appleton, Peach, Majid, Burford und Melling erreichten alle samt die Achtelfinals. Mark Gray war über Markus Ederer (9:1!!) und Oliver Ortmann gestolpert. Chris Melling, Darren Apppleton und Phil Burford überstanden auch diese Runde und erreichten die Viertelfinals zusammen mit Muratore, van den Berg, Ouschan Junior, Karol Skowerski und Dimitri Jungo, der auch das zweite Duell gegen Cohen im gleichen Turnier für sich entscheiden konnte. Diesmal klar mit 9:4.
In der Runde der letzten Acht kam es zur grössten Überraschung des Turniers als der zweiundzwanzig jährige Bruder von Jasmin Ouschan, Albin Junior, den Englischen Weltmeister aus dem Turnier kippte. Darren Appleton gelang es nicht in den richtigen Rhythmus zu kommen. Nach einem enttäuschenden 9:4 musste er sein Queue endgültig auseinanderschrauben.
Jungos fulminanter Finaleinzug
Nach Stephan Cohen stiess Dimitri Jungo mit Bruno Muratore erneut auf einen Gegner, gegen den er sich schon am Vortag hatte duellieren müssen und die Revanche war ein voller Erfolg. Der Schweizer liess nichts anbrennen, ging rasch mit 4:1 in Führung und gab diese nicht mehr ab bis zur 9:4 Entscheidung.
In den Halbfinals standen sich nun Jungo und van den Berg gegenüber sowie Albin Ouschan und der letzte verbliebene Engländer, Chris Melling. Melling machte diesmal keine gute Figur (kann auf dem Bild auch wörtlich genommen werden...). Zu viele Fehler erlaubte er sich gegen den sportlichen Vorarlberger, der die Gunst der Stunde zu nutzen wusste und sich den Finaleinzug mit 9:5 klar sicherte.
Nick van den Berg galt gegen Jungo sicher als Favorit aber es sollte anders kommen. Der erfahrene holländische Internationale hatte beim Anspiel das Glück nie auf seiner Seite. Dreimal blieb sein Break "trocken" zweimal versenkte er gar die Weisse und schliesslich hatte Jungo beim 8:3 und Ball in Hand auch noch Dussel. Er legte sich die Weisse für eine 1-9 Kombination zurecht und verfehlte, doch die Neun fand ihren Weg auf Umwegen in eine Tasche zum 9:3 Schlussresultat.
|
Auge um Auge - Zahn um Zahn. Dimitri Jungo und Albin Ouschan Junior standen sich unerwartet im Finale gegenüber.
|
Final Jungo gegen Ouschan
Die letzte Partie startete für Dimitri Jungo nicht nach Wunsch. Ouschan ging rasch drei zu null in Führung ehe der Schweizer die neun zum ersten Mal versenken konnte. Auch die fünfte Neun ging auf sein Konto zum Anschluss 2:3. Danach hatte der Österreicher das Glück wieder auf seiner Seite. Er buchte zweimal zum 5:2 und im achten Spiel versenkte er zusammen mit der Zwei zufällig auch noch die Neun (das gehört halt zum 9er Ball auf professionellem Niveau, deshalb haben alle so gern 9-Ball. Ausser vielleicht die Sponsoren...).
Jungo fasste zunächst erneut Tritt und machte dann im 10. Spiel einen entscheidenden Fehl-Tritt indem er eine einfach Sieben verfehlte und Ouschan das Spiel überliess. Auch ein Time-Out brachte nicht mehr die erhoffte Wende. Albin Ouschan Junior gewann in Sarajevo seine erste Medaille an einer Eurotour, an der er bereits 27 Mal teilgenommen hat.
Wie Jungo belegt Jasmin Ouschans "kleiner" Bruder eine aufsteigende Formkurve. Im letzten Jahr kam er zweimal auf den neunten Platz. Für Jungo bedeutete der zweite Platz in Sarajevo die fünfte Medaille an einer Eurotour. Mit diesem Glanzresultat katapultierte sich der Bieler auf den dritten Rang in der Gesamtrangliste hinter Chris Melling und Ralf Souquet, der die Führung trotz seines frühen Ausscheidens behaupten konnte.
Der nächste Tourstopp findet am 19. April in Treviso statt (und dann am 30. Mai in St. Johann, Österreich - merci Gianni!).
|